SP-Abgeordnete Sadet Karabulut fordert einen internationalen Prozess gegen die Täter des Sivas-Massakers
Am 2. Juli 1993 setzte eine Horde von Tausenden Islamfundamentalist*innen nach stundenlanger Belagerung ein Hotel in der türkischen Stadt Sivas in Brand. Fünfunddreißig Menschen wurden getötet, die meisten von ihnen alevitische Intellektuelle, Künster*innen und Darsteller*innen. Die Opfer, darunter die niederländische Studentin Kulturanthropologie Carina Thuijs, waren Teilnehmer*innen eines mehrtägigen alevitischen Festivals in der Stadt. Die SP*-Unterhausabgeordnete Sadet Karabulut hat schriftlich Fragen eingereicht, in denen sie einen internationalen Prozess gegen die flüchtigen Täter*innen dieses anti-alevitischen und anti-progressiven Massakers fordert.
Der „Fall Sivas“ wurde 2012 nach langwierigen Verfahren für verjährt erklärt, mit Ausnahme des Strafverfahrens gegen drei flüchtige Verdächtige. Dieser letzte Fall droht 2023 auszulaufen. Die türkische Anwaltskammer hat die gerichtliche Verordnungsentscheidung stets kritisiert, weil sie nach Ansicht der Kammer ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellt. Und solche Verbrechen können nicht verjähren.
Originele Nederlandstalige tekst (23 september 2020). Niederländischer Originaltext (23 September 2020)
Deutscher Status
Neun in der Türkei verurteilte Täter*innen flohen nach Deutschland und erhielten dort einen Aufenthaltsstatus mit der Begründung, dass ihre Menschenrechte in der Türkei gefährdet seien. Einer von ihnen ist inzwischen verstorben und einer hat sogar die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten. Viele Jahre konnten die fundamentalistischen Mörder*innen bei unseren östlichen Nachbar*innen in Ruhe und Frieden leben, aber vielleicht ändert sich das bald. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages ist – nach einer Anfrage der Linken – der Meinung, dass die acht Täter*innen zwar an die Türkei ausgeliefert werden können, aber nach dem Weltrechtsprinzip auch in Deutschland verurteilt werden können. Zwei grüne Bundestagsabgeordnete aus dem Land Berlin erstatteten daraufhin Anzeige gegen die achtköpfige Gruppe bei der Bundesanwaltschaft wegen Mordes und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Kopf in den Sand
Der niederländische Staat hat all diese Jahre bemerkenswert wenig gemacht. Dies, während eine niederländische Staatsbürgerin in der Blüte ihres Lebens in einem der tragischsten und grausamsten fundamentalistischen Anschläge in der Geschichte der modernen Türkei ermordet wurde. Und das, obwohl der niederländische Staat Ende 2007 und in diesem Monat von Angehörig*innen der Opfer und alevitischen Organisationen durch Protestaktionen vor der niederländischen Botschaft in Ankara aufgefordert wurde, Partei im Prozess gegen die Fundamentalist*innen zu werden oder zumindest das Verfahren aktiv durch Beobachter*innen zu verfolgen. Eine niederländische Beteiligung würde von den betroffenen Familien und alevitischen Interessengruppen als unterstützend empfunden werden und dem Fall größere internationale Aufmerksamkeit verschaffen. Aber seit Jahrzehnten hat der niederländische Staat den Kopf in den Sand gesteckt und nicht reagiert.
Die SP-Parlamentarierin Sadet Karabulut prangerte in einer schriftlichen Anfrage, die sie heute einreichte, die passive Haltung der Niederlande an. Die Sozialistin bittet außerdem den Außenminister, gemeinsam mit Deutschland die Möglichkeiten eines internationalen Prozesses für die in Deutschland ansässigen Täter*innen zu prüfen. Und Recht hat sie. Wie schmerzlich muss es sein, festzustellen, dass die Mörder von Carina Thuijs und 34 anderen Menschen auf deutschem Boden ihr Leben genießen.
Eric Krebbers
(Übersetzt von Nickname.)
Nachfolgend finden Sie die schriftlichen Fragen von Karabulut:
2020Z16986
(eingereicht am 23. September 2020)
Fragen der Abgeordneten Karabulut (SP) an den Außenminister** zu einer Anfrage an die niederländische Botschaft in der Türkei bezüglich des Massakers von Sivas.
1. Können Sie sich noch an das Sivas-Massaker am 2. Juli 1993 erinnern, als 37 Menschen, hauptsächlich Aleviten, darunter die niederländische Studentin der Kulturanthropologie Carina J. Th. Thuijs aus Doetinchem, durch Brandstiftung ums Leben gekommen sind?
2. Wie ist der Stand des Strafverfahrens gegen die Verdächtigen in diesem Fall? Verfolgen Sie, oder hat die niederländische Botschaft die Prozesse verfolgt? Wenn ja, auf welche Weise? Wenn nicht, warum nicht?
3. Wie reagieren Sie auf die jüngste Forderung eines Verwandten eines der Opfer und der Demokratischen Alevitischen Vereinigung (DAD), dass der niederländische Staat die Möglichkeit prüft, in den Prozess gegen drei flüchtige Verdächtige einzugreifen, der im Jahr 2023 verjähren soll? Ist die Kommission bereit, dieser Bitte nachzukommen, wenn man bedenkt, dass die türkische Anwaltskammer diesen Fall als Verbrechen gegen die Menschlichkeit betrachtet, bei dem auch eine niederländische Staatsbürgerin getötet wurde? (1)
4. Trifft es zu, dass in den letzten Jahren die Pir Sultan Abdal Kültür Derneği (PSAKD), ebenfalls eine alevitische Vereinigung, ebenso wie am 4. September 2020, vor dem Sivas-Prozess gegen die drei flüchtigen Verdächtigen, der am 9. September 2020 stattfand, zusammen mit der Familie eines der Opfer in der Türkei über die niederländische Botschaft darum gebeten hat, dass der Minister in diesem Fall wegen des Verbrechens an Carina Thuijs interveniert? Was ist ihre Antwort auf diese Frage (gewesen)? (2)
5. Trifft es zu, dass die am 4. September 2020 an die niederländische Botschaft in Ankara gerichtete Bitte, einen Brief an König Willem-Alexander in dieser Angelegenheit zu übergeben, abgelehnt wurde? (3)
6. Können Sie bestätigen, dass neun im Fall Sivas verurteilte Personen nach Deutschland geflohen sind? Sind Sie bereit, gemeinsam mit Deutschland die Möglichkeit eines internationalen Verfahrens zu prüfen? (4)
Verweisungen
1) Pirha, 22. Juli 2020, “Katliam duruşması öncesi Hollanda Büyükelçiliği önünde eylem yapılacak“.
2) Haberler, 5. November 2007, “Pirsultan Abdal Kültür Derneği’nden Hollanda Büyükelçiliği’ne protesto“.
3) Pirha, September 4, 2020, “Karababa’dan Hollanda Kralı’na çağrı: Sivas’ta katledilen Cuanna’ya sahip çıkın“.
4) Tagespiegel, 28 juli 2019, “Verfolgt Deutschland die islamistischen Täter noch?“.
* Kurz für Sozialistische Partei und vergleichbar mit der Linken.
** Zum Zeitupunkt der Fragen Stef Blok, Mitglied der liberal-konservativen VVD